Am 19. Februar 2020 tötete der offenbar ideologisch verblendete Tobias R. in zwei Shisha-Bars in Hanau in einem Akt des Terrors neun Menschen, danach seine Mutter und anschließend sich selbst.
Zum ersten Mal wurde in der Geschichte des Hessischen Landtags am Tag nach der Tat in Hanau eine Plenarsitzung abgebrochen. Und die Bedeutung, die den Ereignissen der Mittwochnacht hierdurch beigemessen wurde, war auch die ganze Zeit über hautnah zu spüren. Tiefe Trauer war bei mir ehrlich gesagt zunächst das einzige Gefühl, das ich unmittelbar nach Erhalt der ersten Nachricht darüber zulassen konnte. Doch nachdem wir mehr Informationen aus Hanau erhalten hatten, habe ich schnell das starke Bedürfnis gespürt, vor Ort zu sein und zu helfen – bzw. soweit wie eben möglich die Betroffenen zu unterstützen. Es war ein langer Tag, an dem ich die Familien der Opfer, verletzte Überlebende im Krankenhaus, traumatisierte Zeugen*innen der Tat und die unterschiedlichsten Vereine und Kulturzentren vor Ort besucht und später der großen Mahnwache auf dem Marktplatz in Hanau beigewohnt habe. Abends habe ich dann versucht, die schockierenden Erlebnisse und Eindrücke mit den folgenden Zeilen zu verarbeiten, die ich in den sozialen Netzwerken geteilt habe und an denen ich auch Euch an dieser Stelle teilhaben lassen möchte: „Wie kann ich meinen Tag in Hanau in Worte fassen? Wie kann ich die Tränen und das Leid eines Vaters, dessen 37-jähriger Sohn wenige Stunden zuvor kaltblütig ermordet wurde, in Worte fassen? Wie kann ich euch die zittrige Stimme eines Vaters, während er mir beschreibt, wie stolz er doch auf seinen 23-jährigen getöteten Sohn war, als er vor kurzem seine Ausbildung beendet hat, in Worte fassen? Wie kann ich die Stille im Krankenhaus in Worte fassen, während ein durch Kugeln Verletzter uns die Horrorgeschichte erzählt, wie sein erschossener Freund blutüberströmt neben ihm lag und verstarb? Wie kann ich euch die Augen eines Überlebenden beschreiben, der mir in dem Augenblick erzählt, wie er sich in der Bar totgestellt hat, damit der Mörder ihn übersieht und er so verschont wurde? Wie kann ich euch die anteilnehmenden Gesichter der Polizeibeamten beschreiben, an denen die Opferfamilien weinend und schreiend vorbeigingen? Wie kann ich die überwältigende Solidarität und Geschlossenheit von mehreren Tausenden, die sich alle in Hanau versammelt und gemeinsam ein starkes Zeichen gesetzt haben, in Worte fassen? Wie kann ich die Wut der Angehörigen über die Instrumentalisierung seitens mancher Gruppen und Personen in Worte fassen? ICH KANN ES NICHT! Ich werde diesen Tag in Hanau niemals vergessen! Heute haben wir alle getrauert, heute haben wir alle Anteil genommen und heute haben wir alle gezeigt, dass wir uns von den Feinden unserer Demokratie und vielfältigen und offenen Gesellschaft nicht spalten lassen!“ Ich fühlte mich nach dem Tag in Hanau ziemlich hilflos und vor allem auch ausgelaugt. Jetzt fühle ich trotz der Wut und Trauer auch großen Stolz. Die Solidarität und der Zusammenhalt der Breite der Bevölkerung war bewegend. Es war zu spüren, dass dies auch unmittelbar bei den Angehörigen der Opfer angekommen ist und ihnen Trost gespendet hat. Gerade die Aufrichtigkeit der Anteilnahme, die auch Ihr nicht nur unter meinem Facebook-Post, sondern auch vor Ort in Hanau, Frankfurt und vielen anderen Städten am Tag nach der Tat und dem darauffolgenden Wochenende bei Mahnwachen und Kundgebungen sowie der Kranzniederlegung mit Cem, Martina und mir und vielen weiteren Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gezeigt habt, hat mich berührt. Ich werde Hanau niemals vergessen – und wir dürfen es auch als gesamte Gesellschaft nicht. Liebe ist stärker als Hass: Das ist eine der zentralen Botschaften, die von Hanau ausgeht! Auch nicht vergessen werde ich die Worte von Frau Serpil Ünvar (Mutter des ermordeten Ferhat Ünvar): „Tut alles, damit das, was meinem Sohn passiert ist, keinen anderen Jugendlichen mehr passiert und keine weitere Mutter mehr diesen Schmerz ertragen muss!“ Dieser Auftrag war an die Politik gerichtet und wir werden in Hessen alles in unserer Macht stehende tun, damit gesellschaftliche Minderheiten nicht in Angst leben müssen und insbesondere Migrant*innen sich nicht allein gelassen fühlen. Meine Gedanken sind weiterhin bei den Opfern und ihren Angehörigen sowie den Überlebenden der Tat in Hanau.