#SayTheirNames – Ein Jahr nach Hanau

Morgen jährt sich der rassistische Anschlag von Hanau zum allerersten Mal. Und der Schmerz, die Wut und die Trauer stecken noch nach wie vor tief in unserer Seele – von den Angehörigen und Freund*innen, den Überlebenden, den Hanauer*innen, den Hess*innen bis hin zu ganz vielen Menschen in der gesamten Republik! Vor allem aber bei den Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund und BPoC (Black and People of Color), die es aufgrund ihres „Aussehens“ ebenfalls hätte treffen können.

Obwohl Hanau bei weitem nicht der erste rassistische Anschlag in der BRD war, hat er mich persönlich auch besonders erschüttert: Größtenteils Besucher zweier Shisha-Bars wurden aufgrund dessen, dass sie von einem Rassisten als Migranten und „Fremde“ angesehen wurden, ermordet. Gerade Shisha-Bars sind für viele junge Migranten eine Art „Zufluchtsort“, wo sie sich eben nicht unwohl fühlen oder sich beispielsweise Sorgen machen müssen, ob sie aufgrund ihres „Aussehens“ hineingelassen oder herablassend angeschaut werden, wie in manch anderen Lokalitäten. Dass ausgerechnet in der Stadt Hanau so etwas Schreckliches eintreten könnte, war bis dato auch unvorstellbar. Vor allem in Hanau: eine Stadt mit einer so vielfältigen Bevölkerung, mit vielen Menschen mit Migrationsgeschichte und ihrer Bekanntheit für ein friedliches und respektvolles Miteinander.

„Es hätte jeden von uns treffen können“. Diesen Satz habe ich im letzten Jahr hunderte Male von Migrant*innen und BPoCs zu hören bekommen – sowohl in Hanau, als auch außerhalb. Und ja, auch mir ging es genauso – obwohl ich selbst auch nicht unmittelbar betroffen war. Aber eben dieses Gefühl der Betroffenheit hat der furchtbare Anschlag von Hanau bei nicht wenigen Menschen ausgelöst!

In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau habe ich mal gesagt, dass „es höchst problematisch für eine Demokratie ist, wenn Minderheiten in Angst leben (müssen)“. Dieser Zustand war und ist weiterhin für uns nicht hinnehmbar! Sowohl die Politik als auch die gesamte Gesellschaft – von den Sicherheitsbehörden und Institutionen angefangen bis hin zu den kleinsten Vereinen und den Stammtischen – müssen ihren Beitrag leisten. Anders lassen sich rechtsextremistische und rassistische Anschläge und Morde nicht verhindern. Spätestens Hanau muss tatsächlich eine Zäsur sein bzw. werden.

Offene und berechtigte Fragen der Angehörigen und Überlebenden müssen selbstverständlich aufgeklärt werden. Wir erhoffen uns vom nach wie vor ermittelnden Generalstaatsanwalt Antworten auf vorhandene Fragen der Angehörigen. Und wenn nach seinem Ermittlungsergebnis Fragen offenbleiben sollten, muss und wird die Landesregierung die Fragen der Opfer (weiter) beantworten.

Auch in Bezug auf den Vater des Mörders, der mit seinem rassistischen Gedankengut und seiner Hetze die Angehörigen der Opfer und die Überlebenden des Anschlags nicht einmal während einer Gedenkveranstaltung in Ruhe lässt, hoffe ich, dass er mit all den verfügbaren rechtsstaatlichen Mitteln belangt wird.

Am morgigen Tag gedenken wir den Opfern von Hanau und sollten darüber hinaus uns immer wieder vor Augen halten, welchen Schaden Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Antiziganismus und andere Formen gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit oder allgemein Hass und Hetze bei den betroffenen Menschen und unserer Gesellschaft als Ganzes anrichten.

Ich persönlich werde meine Erlebnisse in Hanau, einige Stunden nach den furchtbaren Morden, niemals vergessen. Das Leid der Menschen, die offenen Fragen und die Angst – aber auch die ganz große Anteilnahme, Geschlossenheit und Solidarität der großen Mehrheit der Bevölkerung – haben sich tief eingeprägt. Ganz besonders eingeprägt hat sich ein Satz von der Mutter eines Ermordeten: „Tut alles, damit das, was meinem Sohn passiert ist, keinen anderen Jugendlichen mehr passiert und keine weitere Mutter mehr diesen Schmerz ertragen muss!“ Dieser Auftrag war an uns alle gerichtet, insbesondere auch an die Politik – und es handelt sich hierbei um einen Dauerauftrag! Deshalb ist es wichtig und richtig, dass auch wir auf Landesebene an (umfangreichen) Maßnahmen nach Hanau weiterarbeiten und einige davon hoffentlich – möglichst fraktionsübergreifend – schon bald vorlegen können. Aber auch die hessische Landesregierung hat bereits nach dem Anschlag von Hanau Maßnahmen u.a. als Unterstützung der Angehörigen der Opfer und der Überlebenden veranlasst, die ich nachfolgend aufzählen möchte.

„Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst“, schrieb Ferhat Unvar vor seinem Tod in eines seiner Gedichte.

In diesem Sinne, sollen sie niemals in Vergessenheit geraten: in Gedenken an Mercedes Kierpacz, Gökhan Gültekin, Ferhat Unvar, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz, Vili Viorel Păun, Kaloyan Velkov, Hamza Kurtović und Said Nesar Hashemi.


Bisherige Unterstützung für die Angehörigen und Überlebenden des Anschlags seitens der Landesregierung:

In der Tatnacht selbst wurde noch seitens des Polizeipräsidiums Südosthessen eine Anlaufstelle für alle Betroffenen eingerichtet, das BIZ (Betroffenen-Informations-Zentrum), das von 20 Polizeibeamt*innen und weiteren nicht polizeilichen Helfern betreut wurde.

Im Nachgang und als zentraler Baustein des Opferschutzes wurden den Überlebenden und Angehörigen weiterhin feste persönliche polizeiliche Ansprechpartner*innen (sog. „Kontaktbeamte“) zugewiesen und darauffolgend das BIZ wieder geschlossen. 

Mitte letzten Jahres wurde das Sonderförderprogramm Hanau 2020“ ins Leben gerufen, das eine Fördersumme von rund 600.000 Euro aus Landesmitteln umfasst und für die Arbeit mit den Betroffenen des Anschlags ab dem Jahr 2020 bis 2022 zur Verfügung stellt. Im Hinblick darauf können Vereine oder auch andere Institutionen, die aktiv zur Trauerbewältigung beitragen oder entsprechendes Gedenken umsetzen, eine Förderung bis zu 50.0000 Euro erhalten. Vollumfänglich ausbezahlt wurden im Jahre 2020 zum Beispiel bereits eine Summe von 41.409 Euro an die evangelische Kirchengemeinde Kesselstadt für das Projekt „Boxen gegen die Trauer“ und darüber hinaus 15.000 Euro an den Verein 19. Februar e. V.  für das Projekt „Lesecafé für Toleranz“.

Das Land unterstützt die Stadt Hanau auch weiterhin mit finanziellen Mitteln aus dem Landesausgleichstock

Insgesamt wurden bislang Härtefallleistungen von 1,199 Mio. Euro mit Stand Januar 2021 an die Hinterbliebenen der Opfer, den Schwerstverletzen als auch an die unmittelbar Betroffenen des Anschlags ausgezahlt, davon wurden bereits rund 1,03 Mio. Euro unmittelbar nach dem Anschlag schon ausgezahlt. 

Der Opferberatungsstelle „response.“ wurde für die Arbeit mit den Betroffenen Fördermittel von weiteren 100.000 Euro zur Verfügung gestellt.

Der nach dem Anschlag gestiegene Beratungsbedarf in den Jugendzentren in Hanau wurde durch die Schaffung zwei neuer Stellen gedeckt. 

Der Opferhilfeverein Hanauer Hilfe wird in der Zwischenzeit zu ca. 75 % durch Zuwendungen der hessischen Landesregierung finanziert. Der Verein engagiert sich eingehend in der Begleitung der einzelnen betroffenen Personen des Anschlags und kümmert sich zudem um die Traumaverarbeitung, darüber hinaus jedoch auch bei der Wohnungssuche und bietet Hilfestellung bei Anträgen.

Die Stadt Hanau ist dem nachvollziehbaren Wunsch der Opferangehörigen – mit Ausnahme von einer Familie – vollumfänglich nachgekommen und hat allen Angehörigen neue Wohnungen vermittelt. Das Land Hessen hat bei der Vermittlung von Kontakten zur Nassauischen Heimstätte mitgewirkt.

Weitere Maßnahmen sind unter anderem die Kooperation mit der Stadt Hanau.

Es besteht eine enge Zusammenarbeit bei der Opferbetreuung zwischen dem Land und der Stadt Hanau. Ebenso steht sowohl der Opferbeauftragte unseres Landes, Prof. Dr. Helmut Fünfsinn, der direkt nach der Tat am 21.02.2020 zum Opferbeauftragten benannt wurde, als auch der Opferbeauftragte des Bundes, Dr. Edgar Franke, jederzeit als Ansprechpartner für die Hinterbliebenen zur Verfügung. Herr Prof. Dr. Fünfsinn hilft den Opferfamilie darüber hinaus bei Fragen rund um das Opferentschädigungsgesetz sowie der Unfallkassen und steht unterstützend zur Verfügung. 

Alle Migrantenselbstorganisationen in Hessen stehen in einem bewährten Netzwerk in Kontakt mit der hessischen Polizei. Diese wiederum gibt ihre Erkenntnisse der Stadt Hanau und ihren Migrantenselbstorganisationen sowie den Moscheenverbänden weiter. 

Eine Vernetzung der Opferschutzorganisationen wurde durch die Errichtung des „Runder Tisch der Opferbeauftragten und Hilfeeinrichtungen“ erreicht, der regelmäßig stattfindet. Dort ist nicht nur die hessische Polizei mit Stellvertretern des Landeskriminalamtes sowie des Polizeipräsidiums Südhessen und des Landespolizeipräsidiums vertreten, sondern auch der Opferbeauftragte unseres Landes. Ziel und Zweck ist eine erfolgreiche Vernetzung aller Beteiligten im Bereich des Opferschutzes. 

Als weitere zusätzliche Schutzmaßnahmen erfolgte nach dem Anschlag eine Stärkung der Sicherheit hessenweit zu den Zeiten des Freitagsgebetes in und um den Moscheen, um das Sicherheitsgefühl zu stärken. 

Darüber hinaus wird derzeit durch unser Innenministerium ein bundesweit einmaliges kommunales Frühwarnsystem entwickelt, damit Bürger über die App hessenWARN schnellstmöglich sicherheitsrelevante Meldungen weiterleiten können. Das Pilotprojekt mit mehr als 700.000 Nutzern schließt damit Hanau als eine von fünf Modellkommunen mit ein und soll eine digitale Anlaufstelle für alle Bürger*innen sein. Mit Hilfe der hessischen Bevölkerung soll damit nicht nur frühzeitig Extremismus bekämpft, sondern auch mögliche Straftaten schneller verhindert werden können.

Das Hessen Cyber Competence Center (Hessen3C) hat eine Online-Meldestelle (www.hessengegenhetze.de) mit dem Ziel eingerichtet, schnellstmöglich auf extremistische Internetinhalte oder Hasskommentare zu reagieren. Dadurch können den Sicherheitsbehörden (der Polizei oder auch dem Verfassungsschutz) auch bereits niedrigschwellige (u.a. rassistische) Hinweise gemeldet werden. 

Eine weitere Möglichkeit Hasskommentare einfach zu melden wurde durch die vor kurzem veröffentliche App „MeldeHelden“ geschaffen. 

Des Weiteren setzen unsere Sicherheitsbehörden im Kampf gegen Extremismus auf ein breitgefächertes Präventionsnetzwerk, dessen Mittel auf knapp 10 Mio. Euro pro Jahr aufgestockt wurden. Im Rahmen unseres Landesprogramms „Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“ unterstützt das Hessische Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus (HKE) mit Sitz im Innenministerium die unterschiedlichsten Präventionsmaßnahmen in unserem Land. Nach dem Anschlag in Hanau wurde bei der Stadt Hanau ebenfalls eine Fachstelle für Demokratieförderung und phänomenübergreifende Extremismusprävention (DEXT) eingerichtet. 

Wie ich bereits berichtet hatte, wird nunmehr auch der Opferfond unseres Landes für Opfer von Straftaten in Höhe von rund 2 Mio. Euro mit dem Haushaltsjahr 2021 errichtet.

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